Wuffel – Schlittenhundefahrten im Lötschental

Expedition Kungsleden

5. Oktober 2021

Ursprünglich geplant für Frühjahr 2020 hätte das Wuffel-Team die Kungsleden-Expedition von 2019 wiederholt.

Mit Toni hatten wir im Lötschental schon einmal die neue Kombination von 8-Hundegespann mit Oinakka-Tourenschlitten und angehängtem Langläufer geübt.

So holten wir das Geplante im März 2021 nach. Freitagabend Start mit 8 Hunden, negativ—Schnellgetestet für die Fähre und die Einreise in Schweden gewappnet, ausgerüstet mit Futter für drei Wochen und mit der positiv-CH-Alpin-getesteten Ausrüstung für eine Woche in Kälte und mobilfunkfreier Tundra nördlich des Polarkreises. Auf der Fähre hatten wir eine Hundekabine gebucht, damit die zwei Jüngsten Neva und Nikita nicht im Bus übernachten mussten. Sie waren in dieser Kabine so artig, dass wir sogar gemeinsam das Nachtessen im Restaurant geniessen konnten. Lachs und Smalltalk mit einem Paar, das regelmässig mit einem vollen Sattelschlepper die Schweden mit Schweizer Medikamenten versorgt. Und ein Anhängerzug mit der Aufschrift «Adelbodner Mineralwasser» stand auch auf dem Deck. Sachen gibts!!! Die Grenzpolizistinnen in Malmö verliebten sich sofort in unsere Hunde, alle vorgeschriebenen Papiere interessierten sie nicht. Seid ihr verrückt, bis nach Kiruna? Ja, wir sind verrückt, see you in nicht ganz drei Wochen und mit über 4000 km mehr auf dem Kilometerzähler. Machbar wäre der direkte Weg in 1845 km, vorbei an Stockholm, der schwedischen Küste entlang. Wir wollten jedoch die Züchterin unserer beiden jungen Huskys, Véronique in Drevdagen, Richtung norwegische Grenze besuchen. Die Fahrt dorthin sollte in einem Tag bewältigbar sein. Dachten wir. Vorbei am ausgestorbenen Startgelände des Vasa-Laufes, der 2021 in „kreativer C-Manier“ virtuell stattfand (man konnte auf seiner eigenen Hausloipe Runden drehen, bis man 90 km absolviert hatte, Selbstkontrolle, ähnlich wie beim Golfspiel…), vorbei an grossen auftauenden Schneehaufen und an Tannen sowie Seen. Schweden ist weit. Immer sehr weit. Weiter als man denkt.

Es hat Tannen und Seen, Tannen und Seen. Abends um 21 Uhr kamen wir dann an, begrüsst von 18 „North Pack“ Onkeln, Tanten, Eltern und Geschwister von Nikita und Neva, sowie von Véronique, die nur noch das Ren-Geschnetzelte für die Spaghetti alla Scandinavia aufwärmen musste. Anderntags zeigte uns Véronique ihren Haustrail, anschliessend bewegten wir unsere Hunde, die nach der langen Reise sehnlichst nach Bewegung gierten. Die Landschaft rund um Drevdagen ist ähnlich unseren voralpinen Gebieten oder dem Jura. Dank der Höhenlage hatten die landesweit katastrophal hohen Temperaturen dem Trail noch nichts anhaben können. Nach einer denkwürdigen Geburtstagsfeier am 22. März fuhren wir am nächsten Morgen entlang dem Google Navi weiter Richtung Norden.

Navi. Trau nie einem Navi, plötzlich klemmst du im Engadin in einer Bergdorfgasse fest. Oder du überquerst in Schweden einen schneebedeckten Pass, vergleichbar mit einem Schlittelweg im Berner Oberland, jedoch siehst du während zweier Stunden einen einzigen Schneetöff und ein verirrtes Rentier… Die Aussicht war zwar nicht schlecht: Bäume, Bäume, Bäume und Berge, sowie blinkende Funktürme.

Endlich wieder in zivilisierteren Gegenden folgten wir dann den weniger direkten, jedoch etwas belebteren Strassen nach Östersund. Eine Stadt weiter liegt Krokom, an der Strasse nach Are, wo Vreni Schneider am 18. März 1990 den Riesenslalom gewonnen hat. In Krokom, meinten wir, warte auf uns in einem fantastischen Hundeschlittencamp Kjell Dannevall. Den Ort fanden wir in desolatem Zustand vor. Aufgrund des schon länger anhaltenden Tauwetters mit nächtlichen Nullgradpausen waren die letzten 100 Meter nur mit Schneeketten fahrbar.

Kjell, ein Selfmader-Original mit amerikanischem Cowboy-Persönlichkeitsprofil, vor Kurzem von seiner Frau und Geschäftspartnerin verlassen, quartierte uns zwar in einer seiner Wohnungen ein, musste uns aber enttäuschen, da er während der ganzen Saison seine 45 km auf seiner Website versprochenen gespurten Trails nicht unterhalten hatte. Seine Rede war, dass wegen Holzfällerarbeiten kein Durchkommen sei, er habe uns nicht mehr erwartet, kein Mail mehr gesehen, da ihm seine Ex alle Verbindungen gekappt habe. Armer Tropf Kjell, alles auf seinem Anwesen tropfte, die Hundezwinger waren voll Tauwasser. Jänu, wenigstens konnten unsere Hunde zwei Tage und zwei Nächte die Beine lockern, während wir in Krokom unsere Verpflegung für die Weiterreise einkauften. Mit der Zusicherung, dass wir auf der Rückreise nochmals für eine Nacht Station machen würden, verliessen wir Camp Dannevall in Richtung Sorsele.

„Inlandvägen“, Synonym für endloses Durchqueren von Wald, Wald , Wald, entlang von Seen, abgeholztem Wald, riesigen Holzereimaschinen und einem verwaisten Bahngeleise. Alle Abzweigungen zeigen Richtung Küste. War es ein Fehler, nicht der Küste entlang zu fahren? Ich erinnerte mich an die beschwerliche Küstenfahrt anno 2019, die geprägt war von unzähligen Überholmanövern und nervigem hinter Anhängerzügen Herfahren. Inlandvägen fahren ist dagegen autofahrerisch ein Kinderspiel. Nicht zu empfehlen alleine, denn es geschieht dermassen nichts, dass man Gefahr läuft, verrückt zu werden. Empfehlenswert ist,dem  schwedischen Radio (mit ABBA rauf und runter, in Schweden so häufig wie in Jamaika Bob Marley) zuzuhören oder einander Geschichten aus dem Leben zu erzählen. Alle zwei Stunden Fahrerwechsel, alle vier Stunden inklusive Hundetoilette.

Sorsele, der Ort, pro Einwohner gemäss Auskunft des Schweizer Campingbetreibers mit der höchsten Hundedichte Schwedens brilliert, der Ort, an welchem es immer irgendwoher bellt und an welchem die Teenies ihre Snowscooters an die Grenze der Kolbenklemmer treiben. Der Schweizer Aussteiger ist gerade daran, umzusteigen, er habe es nun gesehen, verkaufe den ganzen Platz einem Deutschen, auf der Rückfahrt würden wir den dann kennenlernen. Unser Bus wurde zum Camper, die Hunde an der Stakeout bellten mit den Sorseler Artgenossen um die Wette. Noch ein kurzer Ausflug auf den gefrorenen See, an der Wende eine beinahe-Beisserei unserer rivalisierenden Rüden, erstmals Polarkreis-Feeling mit ewigem Sonnenuntergang und nächtlicher Kälte. Kiruna kommt näher.

Sorsele Camping wäre im Sommer ein Muss auf der Fahrt nach Norden. Top eingerichtet, wunderschön gelegen, muss man sich merken.

Die letzte Etappe nagte an unserem Durchhaltevermögen. Die typischen locker gewachsenen nordischen Wälder und der stetig höhere Schnee am Strassenrand waren das untrügliche Zeichen, dass wir bald da sein werden. Bald. Magst du noch? Bis zur nächsten Abzweigung sind es noch 280 Kilometer. Genf-Zürich. Dort machen wir den Wechsel. Jokkmok. Eine Tankstelle im Zentrum der Lappländer. Rentierfelle und Handwerk, neben Hotdog und Kebab. Und endlich riechts nach Kiruna. Gällivare, die zweite Eisenerzstadt nach Kiruna, dann vorbei an der tragischen Kurve, wo 6 Adelbodner Jungs das Leben verloren hatten, dann weiter, vorbei am Alttajärvi. Am Oinakkavägen in Laxsforsen machen wir Halt bei Göran Larsson, dem Tausendsassa-Schlittenbauer, um die bestellte Zugleine abzuholen. Er lädt zum Nescafé Gold ein, der Smalltalk in deutscher Sprache wie immer lustig und gespickt mit Lebensweisheiten. Ja, nach der Pensionierung nicht einrosten, sonst hat’s dich! Gewinnen müssen wir nicht mehr, aber geniessen dürfen wir! Und je länger du dabei bist, desto perfekter wird die Ausrüstung. Göran hat keine Zahlkästchen, Twint kennt er nicht, er wird dann mal ein Mail senden mit seiner Bankverbindung. Cooler Typ!

Beim neuen Kreisel vor Kiruna geht’s  auf die letzten 25 km direkt nach Kurravaara, zu unseren Gastgebern Birgitta und Lars Fernström. Die Ankunft ist ein herzliches Wiedersehen. Wir werden im Guesthouse einquartiert, eigener Ofen, gemütlicher Wohnschlafraum. Die nächsten Tage verbringen wir mit Trainingsausflügen, teils mit Charly, der in Altajärvi im Homeoffice seinen Schweizer IT-Job absolvieren kann, über gefrorenes Land, gefrorene Sümpfe und den Fluss Torne. Bei der Hauptprobe, einem Trip zu Birgittas und Lars’ Wochenendhaus stellt sich heraus, dass Achack, unser alter Huskymann, Rückenschmerzen hat. Wir entscheiden, die Kungsledenwoche ohne ihn zu machen.

Die Wetterprognose ist unklar, Tendenz Nordwestwind. Dies bedeutet, dass wir in Nikkaluokta ins Vistatal vorstossen, um höchstens von Seitenwind geplagt zu werden. Der Anfang ist, wie schon zwei Jahre zuvor, extrem mühsam. Es scheint, dass die Tourismusleute daran interessiert sind, dass kein Mensch den von uns gewählten Weg nimmt. Die vorhandenen Wegweiser verleiten, über Privatgelände zu gehen, das aktuell von einer Rentierherde besetzt wird.  Erst nach eindringlichem Nachfragen unserer Gastgeber finden wir den Startpunkt eines offensichtlich schon viel befahrenen Scootertrails. Unser Bus wird von Lars und Birgitta zurückgefahren, da wir noch nicht wissen, an welchem Ort wir den Kungsleden verlassen werden.

Die erste Aufregung gibt es beim Vorbeifahren an der Rentierherde. Wie von einem Wolfsrudel verstört drehen die Tiere fluchtartig ihre Runden. Dazu kommt ein tieffliegender Helikopter, dessen Pilot wohl Spass hat an der ganzen Szene. Nach etwa drei Kilometern sind wir endlich der Zivilisation entflohen und geniessen die Weite des unteren Vistastals. Nach ca 30 Kilometern errichten wir am zugefrorenen Fluss unser Zeltcamp und richten uns für eine stürmische Nacht ein. Das Tunnelzelt, gesichert mit breiten, Eigenbau- Fichtenholzheringen hält den Böen Stand. Die Hunde rollen sich in den für sie geschaufelten Vertiefungen ein und lassen Wind und Schnee über sich pfeifen. Anderntags scheint die Sonne, der Wind bleibt. Die Vistas-Stuga, unser nächstes Ziel, sollte in zwei Stunden erreichbar sein. Auf einer Anhöhe geniessen wir den Blick zurück zur hinter uns liegenden Strecke. Das war es, was wir suchten! Die Weite, eingegrenzt von sanften Bergbuckeln, im Winterschlaf liegende unberührte Natur.

Stille, wenn nicht der Wind sich meldet. Kein Flugzeug, kein Mensch. Da passiert das Unvorstellbare: Meine in Dänemark über Internet gekauften nordischen Tourenski, Marke Fischer, lassen mich im Stich: Die Bindung reisst aus, drei Schrauben und drei Löcher grinsen mich von einem Ski an. Wir bewältigen die letzten Kilometer zu zweit auf dem Schlitten, teils mit Schneeschuhen, unter schwierigsten Bedingungen. Das unübliche Tauwetter der letzten Woche hat den Fluss teilweise unbefahrbar gemacht, mehrere heikle Überquerungen sind nötig. Die Vistashütte zu erreichen ist eine Erlösung! Wir bekommen die Erlaubnis, die Hunde nahe an der Hütte für Hundehalter zu platzieren. Nach einer Stunde tauchen vier Touristengespanne auf, ein Paar hat sich zwei Guides inklusive Hundegespanne gemietet. Im Hinblick auf die veränderliche Wetterlage sind wir froh, anderntags auf den Spuren der Profis fahren zu können. Die Hüttenwartin zeigt mir die mit dem Nötigsten ausgerüstete tiefgefrorene Werkstatt. An den Einsatz von Leim ist nicht zu denken, um die Schrauben in die bestehenden Löcher zurück zu fixieren. Also gilt es, zwei Zentimeter nach vorne versetzt die Bindung neu anzuschrauben. Bohre mal drei Löcher mit einem Handbohrer, Marke “Desperate Houswife”! Ich finde in einer Werkstatt mit Zufalls – Ausrüstung den richtigen Bohrer! Mit grossem Glück gelingt die Montage der Bindung. Sie wird die Expedition überdauern, aber merke: Lass nie einen Dänen Langlaufskis einrichten!

Die beiden Huskymädels dürfen die Nacht bei uns verbringen. Wohl weil wir das Gefühl der gemeinsamen Geborgenheit suchen. Sie danken es mit einer extrem starken Leistung währen der nächsten Etappe, auf der wir die Baumgrenze passieren. Nun ist also auch Ende Birken. Grosse Steinbrocken zeugen von einem Felssturz. Lawinen? Unmöglich von der Seite her, wir befinden uns in einem sehr weiten Tal in der Mitte. Der Ausstieg zur Anhöhe, über die man zum Alesjaure-Hüttendorf gelangt, ist vergleichbar mit dem steilen Aufstiegsstück, das von Oberwald zum Grimselpass überwunden werden muss. Die Prüfung des Schneeprofils zeigt, dass wir unbedenklich weiter unseren Hang vertikal angreifen können. Volle Pulle Musher und sieben Hunde, Meter für Meter, alles im weichen Neuschnee auf einer knapp angedeuteten Spur. Den Langlufskis die Felle anschnallen und hopp, go, go , go! Der Blick zurück bestätigt die aktuelle Wetterlage, Nordwestwind, keine Sonne, Schneefall. Dank den guten Nasen unserer Leithunde finden wir den Weg nach unten, neben dem Lappen-Hüttendorf durch zur Alesjaure-Hüttenanlage. Die vier Gespanne der Profis sind schon da, am markierten Hundeparkplatz herrscht ein akustisches Gedränge. Heulen und Revier verteidigen ist von allen Rudeln angesagt. Auch von Abisko herkommend treffen weitere Gespanne ein. Unglaublich, wie in den letzten Jahren der Schlittenhundetourismus hier zugenommen hat. Die Guides erzählen, wie es in der Szene zu und her geht, uns kommt das Matterhorn in den Sinn. Wegen des unsicheren Wetters sei es zurzeit noch passabel. Ansonsten herrsche hier Dichtestress. Wen wundert’s, gegen Abend hellt es auf und die Landschaft präsentiert sich in ihrer grandiosen Weise, sodass man sich nicht sattsehen und -fotografieren kann. Die Sonne taucht alles in ein sanftes Abendrot, kein Baum, kein Geräusch, inzwischen sind alle Hunde ruhig geworden, manchmal schäppert eine Türe.

Die schwedische Familie, mit welcher wir den Gemeinschaftsraum teilen, gibt Anschauungsunterricht zum Generationenkonflikt. Mama, eine Französin, liiert mit dem neuen Papa, einem Schweden, versucht, ihre beiden Teenies, die sich permanent mit den heruntergeladenen Spielapps auf ihren Handys beschäftigen, für das Hüttenleben zu begeistern. Papa, mit dem Jüngsten auf Survivalmodus, macht mit einem Walkietalkie und ausgerüstet mit Lawinenschaufeln ein Schneeloch. Zurück von der Übung ist er dauernd damit beschäftigt, sein GPS zu programmieren.  In einer Gegend, die nun wirklich anspruchslos ist betreffend Orientierung. Wir sind auf dem Kungsleden, der alle 50 Meter mit roten Andreaskreuzen markiert, stark von Skitourenläufern und Service-Scootern belebt ist. Was uns noch überraschen könnte, wäre ein Schneesturm, der uns zum Anhalten zwingen würde. Dann müsste es schnell gehen. Zelt aufstellen, warten. Deshalb hat man sicherheitshalber alles dabei, um bis zu drei Tagen überleben zu können. Von alledem gibt es keine Ansage, da wir auf Anraten der Hüttenwartin entscheiden, nach Abisko weiterzufahren, um mit den deftigen Nordwestwinden von hinten links anstelle von vorne rechts Vorlieb zu nehmen. Die Hüttenwartin reserviert uns per Hütten-Mail die nächsten Plätze, vorbei sei das spontane Ankommen, wegen Covid. Kurz zu diesem Thema. Die Schweden halten’s locker. Abstand halten ist hier überall möglich. Masken? Was ist das, wo? Da unser morgendliche Aufbruch Zeit beansprucht, holen wir die Skiwanderer, die Survival- Patchworkfamily erst nach einer Stunde ein. Papas GPS scheint sich zu bewähren.

Die Abfahrt zum Abiskojärvi ist vom Schönsten, was wir auf er ganzen Reise erlebt haben. Der Blick in die endlosen Birkenwälder, die Seenlandschaft, im Hintergrund der grosse Torneträsk, Vis à vis die Höhenzüge Richtung norwegische Grenze, einfach fantastisch! Endlich dürfen die Hunde mal Vollgas geben, denn es geht abwärts. Abiskojaure wirkt frühlingshaft. Am Empfang bietet die Hüttencrew Heinecken zum Schnäppchenpreis, da das Datum auf den Dosen abgelaufen sei. Erneut werden wir im Hundequartier untergebracht, siehe da, neben uns ein Paar, das sich mit Samojeden auskennt. Unsere Stake-out sieht gut aus. Unbegreiflich, dass drei Ausrüstungshardcore-Survival-Paare ihre Hellsport-Zelte neben unserem Rudel aufstellen! Was tut ihr euch an, eine Nacht neben Samojeden, die nicht die Euren sind!

Wir haben wieder Handy-Empfang, die Zivilisation ist nahe!

Birgitta und Lars werden uns von Kiruna mit dem Bus holen in Abisko. Bis dort schaffen wir es in drei Stunden. Der Trail führt über den See, anschliessend durch den Abisko-Nationalpark immer abwärts. Es gilt, die Abzweigung nach Abisko-Village nicht zu verpassen, denn da ist der Treffpunkt mit unseren Gastgebern. Als wir eintreffen, stehen Charly, Birgitta und Lars in voller Montur mit drei Hunden bereit. Sie hätten uns entgegenfahren wollen. Wir trinken gerne den angebotenen Thermoskaffee, lassen die drei ihre kleine Kungsleden Schnuppertour machen, während wir die Hunde und unsere Ausrüstung versorgen. Zuerst noch ein Fotoshooting vor dem Lappentor. Unabhängig fahren wir dann zurück nach Kurravaara. Inzwischen ist auch da der Frühling angebrochen. Während der nächsten Tage drehen wir nochmals ein paar Ausflüge mit unseren Hunden, Achack lassen wir zu Hause, und wir müssen unbedingt den Gastgebern zuliebe eine Schneetöffrunde machen, obwohl wir das lärmige stinkende Ding nicht wirklich lieben. Ostern in Kirunas Umgebung ist nach dem langen Winter die Gelegenheit, im Bekanntenkreis das Eisfischen zu zelebrieren. Ganze Trosse fahren auf den Fluss hinaus, es werden Zelte installiert, Löcher gebohrt. Der Fang wird unmittelbar grilliert und verspeist, oder wenn es keinen Fang gibt, fliesst Alkohol. Neuerdings gebe es Promillekontrollen auf dem Fluss, nach tragischen Unfällen. Kein Wunder, man hat eine Rakete unter dem Hintern, die bis zu 100 km/h schnell ist. Es gibt aufgetaute Stellen. Es gibt gefrorene unerbittliche Spuren….. Die Jungen quetschen ihre Zweitaktmotoren bis zum Anschlag aus. Fertig mit der Ruhe. Vom See her dröhnen die Schneescooter. Wir geniessen die Sonne und freuen uns auf eine gemächliche Heimfahrt.

Weit gefehlt. Ausgerechnet am Vorabend unserer Abfahrt gibt es heftigen Schneefall, der uns bis Jokkmok begleiten soll. Die Fahrt mit entgegenkommenden Anhängerzügen, die während mehreren Sekunden einen Schneesturm auf der Strasse erzeugen, ist höchst anstrengend und gefährlich. Es wird lange nicht gepflügt, man hat schliesslich Spikes. In Jokkmok, der schwedischen «Hauptstadt der Samen», kaufen wir nun die zwei Rentierfelle, die wir bei der Hinreise schon gesehen hatten. Die Weiterfahrt führt vorbei am Staudammsystem und an den Kraftwerke von Vattenfall. Hier in der Nähe soll es grosse Bitcoin-Schürfereien und Datenspeicheranlagen geben, da der Strom billig ist. Wir fahren entlang von Stauseen weiter nach Sorsele, wo wir den neuen Besitzer, einen deutschen ehemaligen Forstwart, aus seinem Wohnhaus aufbieten. Er sei eben kein Ex-Buchhalter, wie sein Vorgänger, nein, er sei hergekommen und schraube. Das Wort „schrauben“ spricht er köstlich aus, verwendet es mehrmals in allen möglichen Zusammenhängen. Ab sofort „schrauben“ wir ein Nachtessen, dann die Hunde an die Stake-Out, und selbstverständlich müssen wir die Heizung schrauben, denn versehentlich hat die Startbatterie nach 3 Wochen den Saft verloren. Im nahen Coop sind zwei Minuten vor 20 Uhr zwei wortkarge Polarlichtgestalten am Aufwischen, die Kasse ist bereits am Update und dank einem verkrügelten Kronennötli, das im durchdigitalisierten Schweden nun niemand mehr in die Hand nimmt, kann ich eine Batterie kaufen. Die Nacht wäre teuflisch kalt geworden ohne Heizung. Apropos durchigitalisiert: in Schweden geht alles über die persönliche Nummer, so etwas wie unsere AHV Nummer. Coronatest, als Ausländer auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt: unmöglich, denn du hast keine big brother-Nummer. Ob das gut gehen wird, wenn wir dann einen brauchen für unsere Heimfahrt?

Krokom ist unser nächstes Ziel, in Camp Dannewall ist inzwischen das Eis geschmolzen, die Zwinger stehen unter Wasser, Kjell empfängt uns in desolatem depressivem Zustand, hat uns nicht erwartet, offenbar ist er ausserhalb jeglichen Zeitgefühls und wartet einfach nur auf den Sommer mit der Chance auf Fliegenfischer-Gäste. Das Östersund Spitex-Zentrum über Maps zielgenau gefunden liegt mitten im „Werkhof“ der Stadt, umgeben von Feuerwehr, Spital, Parkplatz mit riesigen Pflügen und Universitätscampus. Die Corona-Testerin steckt uns das Stäbchen in die Nase und zählt langsam und laut neun Umdrehungen, gefühlt bis ein Teil des Gehirns aufgewickelt ist. Pro Person zwei Mal das Prozedere, macht 36 Umdrehungen für ein paar DNA-Fragmente, die im Labor nach genauen internationalen Richtlinien vervielfältigt werden, bis kein positives Resultat vorliegt, ein Kurztest, zackig per SMS geliefert (ohne big-brother-Nummer) für die Fähre, da das Resultat des zweiten, das des PCR-Tests zu spät eingetroffen wäre, wir diesen jedoch für die Einreise in die Schweiz brauchen.

Weiter gehts nach Süden. „The same procedure as every year, James.“ Wald, See, Holzfällermaschinen, Wald, See, Fluss, Brücke, Wald, See, Volvo, Volvo, Volvo. Saab ist vorbei, nur noch alte Modelle kreuzen uns, gepützelte Nostalgiker oder Fanatiker der Nachhaltigkeit. Die Strassen sind schneefrei, der Frühling spriesst. Wir halten durch, vorbei am Denkmal denkwürdiger Schwedenmänner, um anderntags nur noch zwei Stunden bis zur Fähre fahren zu müssen. Eine Raststätte mit viel Truckverkehr bietet ein Stück Grasland, auf welchem wir die Hunde an die Stake-Out legen. Beim Einchecken der Fähre kommt das PCR-Resultat. Super, der Kurztest wäre nicht nötig gewesen. Sogar beim Einhecken hätte man testen können. Die Truckerfahrer müssen nicht testen. Logisch, wo können die sich denn anstecken?

Auf der Fähre werden wir Maskierten nur blöd angeschaut, in internationalen Gewässern ist alles anders. Die Fahrt ist spannend. Unter der grossen Brücke durch schippern wir gen Süden, schräg hinter uns ein langsamer Frachter der in unser Kielwasser einbiegt, von links und rechts kreuzen Tanker und Frachter, es ist was los in der Ostsee. Deutschland interessiert sich zollbehördlich und auch pandemiologisch nicht für uns, also schaffen wir es weit bis zur nächsten Raststätte, die schon ausser Betrieb ist.  Frühmorgens rauscht das Personal an, wir werden schlaftrunken betrachtet. Wieder fällt bei unserem Bus ein Geräusch auf, das schon in Schweden Sorgen bereitet hat. Beim Bremsen tönt Metall auf Metall, obwohl gemäss Auskunft des Garagisten die Beläge noch für 10 000 km hätten reichen sollen. Offenbar ist ein Stück Belag abgebrochen. Dank Mobilephone bestellen wir in einer Garage in Muttenz Bremsbeläge und -Scheiben und künden uns für ca. 13 Uhr an. In der Hoffnung, keine Vollbremsung machen zu müssen, blochen wir nach Basel, wo wir von vier blaumaskierten Zöllnern, die rege miteinander diskutierten, nicht wahrgenommen werden. Warum denn und was überhaupt kontrollieren?

Vor der Citroen-Garage nochmals kurz die Hunde an die frische Luft, dann ab auf den Lift. Gegenüber vor dem Altersheim zum Park treffen wir bei Sandwich und Sinalco Freunde aus meiner Jugendzeit sowie meinen Sohn, der in Basel ein Praktikum absolviert. Ja, die Bremsen haben schlimm ausgesehen, eine Fahrt durch den Jura wäre russisch Roulette geworden. Denn zu Thierry und Daniela nach Tramelan wollen wir ja noch heute, die bestellten drei Huskywelpen holen. Die Fahrt bis Moutier erinnert an die Ostseefähre, ein Litauischer Sattelschlepper hat wohl sein GPS nach dem kürzesten Weg in Richtung Bern programmiert. Jeder Kreisel ein Spiel mit der Ungeduld.  Irgendwann merkt er es und kehrt um. Wir staunen, wie schnell man von Basel in Tramelan landet. Offenbar ist der Jura längsseitig mit Tunnels durchlöchert, ich bin überrascht wie einer, der 30 Jahre später erstmals wieder in eine bekannte Gegend kommt und meint, alles sei noch wie damals.

Die Huskywelpen Orkney, Oksana und Oinakka nehmen ungern Platz in den reservierten Boxen, im Nu sind wir allerdings im Wallis, lassen sie im Auslauf unsere Heimat beschnuppern. Die Geschwisterliebe lässt die Trennung von der Mutter vergessen. Und es gibt viele interessante Mädchen und Jungs auf dem Pausenhof. Wir freuen uns auf die nächste Wintesaison!